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Nicht schlecht Herr Böss – eine polemische Replik

Posted in Politik by Martin Spindler on November 2, 2008

Ich kenne Herrn Gideon Böss nicht, der für Welt Online ein Blog betreibt, doch letzte Woche ist er mir doch aufgefallen. Denn Herr Böss schreibt über die Einladung des ehemaligen iranischen Staatspräsidenten Muhammad Chatami an die Universität Freiburg und beschwert sich darüber, dass solche Personen mit offenen Armen empfangen würden, Personen wie Joseph Ackermann jedoch vermutlich ausgebuht würden.

Natürlich fällt einem bei dieser Argumentation, die sich in den klassischen Klischees der Verdammung der Sozialwissenschaften als antikapitalistisch ergeht, der alte Sinnspruch unseres mittlerweile zu Elder Statesman-Weihen gelangten Alt-Bundespräsidenten-kanzler Schmidt ein, der sagte:

Wir haben viel zuviel Soziologen und Politologen. Wir brauchen viel mehr Studenten, die sich für anständige Berufe entscheiden, die der Gesellschaft auch nützen.

Herr Böss, ich kann verstehen, dass Sie sich eher dem konservativen Flügel zuordnen, auch wenn ich Ihre Gesinnung nicht teile. Es ist schwer, sich mit Argumenten auseinanderzusetzen. Es ist schwer, auch eine Person wie Muhammad Chatami, die ja als ehemaliges Staatsoberhaupt des Iran, dem erklärten Bösen, richtig einzuordnen. Es ist natürlich noch schwerer, wenn man wie Sie sagt:

Warum besteht diese Partnerschaft eigentlich? Ich meine, dass man auf ein abgrundtief böses System positiv einwirken und es durch Argumente zur Selbstauflösung bringen kann, glauben doch ernsthaft nicht einmal mehr die fünf letzten Ostermarschierer.

Herr Böss, eine universitäre Partnerschaft besteht nicht immer zu dem Ziel, ein Land zu beeinflussen bzw. in eine gewisse Richtung zu lenken. Manchmal bestehen Partnerschaften auch dazu, etwas über den Partner zu lernen. Um an persische Quellen zu kommen, um Austausche zu kulturellen und sprachlichen Studien zu ermöglichen, ist eine Partneruniversität ein sehr gutes Vehikel. Nur leider scheint das nicht Ihrem Weltbild zu entsprechen.

Ich weiß nicht wo Sie studieren, Herr Böss, und ich weiß nicht, was Sie studieren. Aber es muss ein grausame Zeit sein, wenn Sie als betonter Wertkonservativer mit so vielen linken Studenten in ein Seminar gesperrt werden. Vielleicht haben Sie aber den wissenschaftlichen Anspruch, den Sie an Ihr Studium stellen schon längst verloren. Vielleicht sehen Sie aber auch Ihr Selbstverständnis und Ihr Weltbild in Gefahr, wenn Sie in Ihrem zweiten Streich Ihre Vorstellungen von Universitätsreform kundtun:

Mein Vorschlag wäre, zuerst einmal alles aus der Uni zu verbannen, was mit Wissenschaft nichts zu tun hat. Der ganze Gender-Quatsch zum Beispiel.

Her Böss, ich möchte Sie ungern daran erinnern, dass jenes Konstrukt, welches unsere Gesellschaft grundlegend von solch abgrundtief bösen Systemen wie dem Iran unterscheidet, unter anderem auch in der Freiheit der Forschung und Lehre fußt. Denn dies wissen Sie ja sicherlich. Denn immerhin kennen Sie den Iran ja ganz gut.

Kommen wir jedoch erst einmal zurück zu Muhammad Chatami, der Aufhänger für Ihre Pauschalkritik an den deutschen Sozial-, Geistes- und Erziehungswissenschaftlern. Was haben Sie gegen einen ehemaligen Staatspräsidenten, der antrat, den Iran zu einem weltoffeneren Land zu machen? Was haben Sie gegen einen ehemaligen iranischen Staatspräsidenten, der Christen und Juden die Hand ausstreckt, ja, der sogar von Papst Johannes Paul II gewürdigt wird? Es tut mir Leid, aber dieser Mann eignet sich wirklich nicht für Ihren Aufhänger. Vielleicht hätte der Besuch Ahmadinejads an der Columbia University was hergemacht, der ist immerhin radikaler, aber da stand ja der Diskurs im Vordergrund.

Nun gut, der Fall Chatami sollte ruhen. Bleibt Ihre Schelte an den Studenten, die ja von Grund auf Links und Antikapitalistisch sind, die Massenmörder feiern und für die der amtierende amerikanische Präsident ein schlimmerer ist, als Adolf Hitler. Really?

So weit ich in meiner Universitätskarriere zurückschaue, und glauben Sie mir, ich habe schon einiges studiert, überwog immer die fachliche Diskussion. Natürlich wurden auch Fragen bezüglich der politischen Orientierung erörtert, aber eben unter soziologischen oder politologischen Vorzeichen. Und mit der Einsicht, dass Weltanschauungen eben verschieden sind. Der freie Meinungsaustausch, Herr Böss, ist das Fundament unserer Gesellschaft. Und da müssen auch Studenten, die andere Ansichten haben, als Sie eine Stimme haben, genau in dem Umfang, in dem auch Sie eine Stimme haben.

Herr Böss, ich kann vollumfänglich verstehen, dass Sie sich an Ihrer Universität nicht wohlfühlen. So viele unterschiedliche Gesichtspunkten, so viel Dekonstruktionismus und linkes Gedankengut sind schlecht für die geistige Gesundheit des eigenen Weltbildes. Aber Erschütterungen gehören dazu. Niemand hat gesagt, dass wissenschaftliche Erkenntnis einfach zu haben ist. Niemand hat gesagt, man käme unbeschadet durch die Uni. Einer der großen der Politischen Wissenschaft in Deutschland, Werner J Patzelt, sagt in seinem Einführungsbuch in die Politikwissenschaft sinngemäß sogar, dass es symptomatisch für Studenten der Politikwissenschaft sei, nicht mehr voll hinter politischen Aussagen stehen zu können; eben weil diese anders bewertet und durchleuchtet würden.

Nicht die Geisteswissenschaften, nicht die Erziehungs- oder Sozialwissenschaften sind Ihr Feind, Herr Böss. Auch wenn das so aussehen mag. Denn wenn diese wegfielen, mit alledem, was Sie als unwissenschaftlich bezeichnen, verlören wir einen wichtigen Teil dessen, was uns als liberal-demokratischen Staat und Gesellschaft ausmacht: den freien Meinungsaustausch und die Diskussion über neue Ideen.